OPERATION ALJOSCHA

Daß der erste Mensch auf dem Mond ein Amerikaner war, ärgerte die Russen sehr. Sie hätten gut und gerne früher oben sein können, wenn deren Techniker und Wissenschaftler nicht jenen unverhältnismäßigen Drang zur Perfektion gehabt hätten. Sie hatten alles erdenkliche Geschick auf die Mondlandung verwandt, waren um vieles weiter als die Amerikaner, und dennoch stand ein Mann namens Armstrong als erster auf dem Mond. Spätestens jetzt wurde es Zeit zu handeln ...

   
Der Vorschlag des Raumfahrtsministeriums eine Woche nach den Amerikanern ein sowjetisches Raumschiff Richtung Mond zu schießen, wurde vom Politbüro abgelehnt. Dies hätte als Eingeständnis gegolten, eben nur Zweiter gewesen zu sein. Da kam das Propagandaministerium mit einem einfallsreichen Vorschlag; die Sowjetunion könnte zwar nicht mehr den ersten Menschen, dafür aber den ersten Hund auf den Mond schicken. Das wäre durchaus in Rußlands Weltraumtradition: Schließlich war das erste Lebewesen im All der russische Hund Mascha. Mascha war zwar schon gestorben, aber er hatte einen Sohn, Aljoscha, der ein junges, kräftiges Kerlchen war. Da dieser bei verschiedenen Tests in der Schwerelosigkeit recht gut abschnitt, war er für die Reise zum Mond bestens geeignet. Dieser Vorschlag hatte eine derart heitere Liebenswürdigkeit und Nostalgie, daß er vom Politbüro prompt und mit Begeisterung angenommen wurde. Nur Verteidigungsminister Kratochvilowitsch hätte sich einen russischen Braunbären im All gewünscht, dies wurde aber aus technischen Gründen abgelehnt. Ein Braunbär hätte, abgesehen vom sehr viel größeren Gewicht, die hochempfindlichen Geräte in der Raumkapsel zerstören oder fressen können.

Die Vorbereitungen für den Raketenstart mit Aljoscha gingen schnell voran; dutzende Kameras waren bereit, das historische Ereignis aufzuzeichnen. Bis zuletzt blieb aber die ”Operation Aljoscha” streng geheim. Als ein Beispiel für Understatement sollte bei Gelingen des Unternehmens der Film in den Wochenschauen und in allen Fernsehstationen der sozialistischen Brüderländer gezeigt werden.

Alles lief wie geplant: Die Rakete hob ohne Makel in Baikonur ab, der Jubel war groß und der gesamte Staatsapparat verfolgte das Geschehen über eine Fernsehleitung. Aljoscha war frisch gestärkt und erhielt an jedem Reisetag einen Napf mit Gulasch. Ansonsten war er ziemlich aufgeregt, was so mit ihm passierte. Mit der Zeit gewöhnte er sich aber an seine Situation und zuweilen entspannte er sich bei der Aussicht, die er von der kleinen Bordluke aus hatte. Wenn er so auf den blauen Planeten hinunter sah, vermißte er doch die fernen Moskauer Parks, in denen er so manches Mal herumgetollt hatte.

Die Landung auf dem Mond war natürlich der Höhepunkt der Reise. Am schwierigsten sollte sich aber der Mondspaziergang gestalten. Wenn die Mondfähre gelandet sei, würde über Aljoschas Kopf automatisch eine Sauerstoffmaske gestülpt und die Luke geöffnet werden. Aljoscha sollte zehn Minuten auf dem Mond spazieren gehen. Dazu wurde eine eigene Leine konstruiert, die nach Ablauf der zehn Minuten automatisch eingeholt wurde und den Hund wieder in die Raumkapsel ziehen sollte.

Und vorerst ging alles wie geplant: Die Fähre wurde über die kasachische Steuerzentrale abgekoppelt und landete wohlbehalten auf der Mondoberfläche. Direkt neben der amerikanischen Fahne.
Die Spitzen des Politbüros, allen voran Parteichef Leonid Breschnew, verfolgten über Fernsehschirme aufgeregt das Geschehen. Die Landung wurde heftig beklatscht und gespannt auf den Mondspaziergang gewartet. Aber Aljoscha ließ sich Zeit. Als die Luke geöffnet wurde, wollte er partout nicht aussteigen; vor allem, weil es am Mond doch recht kalt war und er sich in der Kapsel schon recht heimelig fühlte.

Über die Steuerzentrale in Baikonur rief der Dompteur des Hundes immer wieder den Namen von Aljoscha und forderte ihn auf, auszusteigen. Die Anweisungen, die über den Lautsprecher der Raumkapsel übertragen wurden, kümmerten Aljoscha nur wenig. Er blieb einfach sitzen. Experten meinten später auch, daß der Hund vielleicht durch den Sauerstoffhelm einfach nichts hören konnte. Heute können wir darüber nur mehr spekulieren. Jedenfalls: Die Zeit wurde knapp. Es stand zu befürchten, die zehn Minuten würden vergehen, ohne daß der Hund seinen Fuß auf den Mond gesetzt hätte. Im Politbüro stieg die Spannung. Der Propagandaminister sank blaß immer tiefer in seinen Sessel, Leonid Breschnew kämmte nervös seine Augenbrauen.

Acht lange Minuten waren bereits verstrichen, ohne daß der Hund seine Läufer bewegte. Das allerletzte Mittel, um ihn hinauszulocken, wurde nun erprobt (nichts wurde in der Operation Aljoscha dem Zufall überlassen). Ein Fach über der Luke wurde geöffnet und eine Wurst hang plötzlich herunter. Dies war, nach drei Tagen Weltraumgulasch natürlich eine willkommene Abwechslung für Aljoscha. Er ging auf die Wurst zu, sprang hoch und schnappte sie. Natürlich wurde die Wurst so gehängt, daß Aljoscha außerhalb des Raumschiffs landen mußte, und so plumpste er auf die Mondoberfläche. In Baikonur umarmten sich die Weltraumingenieure, im Politbüro in Moskau war der Jubel grenzenlos.

Aljoscha stand also auf dem Mond. Er stand eine Weile ratlos herum, hoppelte dann mit zwei Sprüngen zur amerikanischen Fahne, hob das Bein und genoß es, nach drei Tagen wieder einmal ordentlich zu pinkeln. Der Jubel im Politbüro riß nicht ab; Generäle hatten Tränen in den Augen; unvergeßlich und legendär die "Bravo"-Rufe von Staats- und Parteichef Breschnew, der in diesen Aufnahmen heftig applaudierend seiner Freude Ausdruck gibt. Dieses lange verschollene Dokument steht uns jetzt endlich zur Verfügung. Nur selten ist es gelungen, den kühlen Breschnew in derart euphorischer Stimmung festzuhalten.

Aljoscha aber trottete, nachdem er sein Geschäft erledigt hatte, wieder in die Raumkapsel zurück und hob wenig später wieder vom Mond ab.

Der Rückflug zur Erde verlief ebenso unproblematisch wie der Flug zum Mond. Wie gesagt, die Weltöffenlichkeit hatte keinen blassen Schimmer von dieser Operation, aber in den Schneideräumen von Ostankino in Moskau wurde bereits fleißig an einem Propagandafilm, wie es ihn seit den Tagen des Krieges nicht mehr gegeben hatte, gearbeitet. Die Regierungsspitze war bereit und entschlossen, zu zeigen, daß es der Sowjetunion nicht schwer fallen würde, mit den amerikanischen Weltraumprojekten mitzuhalten.

Aber: Die Russen hatten nicht mit den Chinesen gerechnet. Als Aljoschas Rakete in die Erdumlaufbahn zurückkehrte, wurde sie von chinesischen Radargeräten erfaßt und noch bevor sie auf die kasachische Wüste, wo sie landen sollte, zusteuerte, erfolgreich von der chinesischen Abwehrrakete Xingpeng I abgefangen. Die Raumkapsel löste sich und flog mit einem Fallschirm zur Erde. Nicht weit von der sowjetischen Grenze. Aber noch auf chinesischem Boden. Dies war der Beginn der sowjetisch-chinesischen Grenzstreitigkeiten, die eine schwere außenpolitische Krise auslösten.

Mao Tse-Tung hatte inzwischen mit Richard Nixon diplomatische Beziehungen aufgenommen, und die Gelegenheit war günstig, den Russen einmal eins auszuwischen. Sollten also die Russen die Landung des ersten Hundes auf dem Mond publik machen, hätte Mao seine ganze Propagandamaschinerie in Gang gesetzt. Fotos und Filme, die den gefangen gehaltenen Aljoscha mit der Mao-Bibel im Maul haltend, zeigen, wurden flugs hergestellt, und in einem Umerziehungslager brachten chinesische Dompteure dem Hund bei, durch verschiedene Schaustücke die sowjetische Nation zu verhöhnen. Aljoscha wurde beigebracht eine Wodkaflasche zu öffnen und sie in einem Zug leer zu trinken.

Leonid Breschnew sah sich durch diese Erpressung gezwungen, die Operation Aljoscha geheimzuhalten. Diese Demütigung wäre einfach zu viel gewesen. Er schwor aber, mit den Chinesen und den Amerikanern irgendwann kurzen Prozeß zu machen und ließ alle seine Atomraketen auf China richten. Alle Geldmittel der Weltraumforschung wurden nun in die Rüstungsindustrie gesteckt. Bis Maos Tod waren alle Beziehungen zu China abgebrochen. Und Aljoscha, der erste Hund auf dem Mond, wurde nie mehr gesehen.

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