INDEX

DER AUTOR ALS GESCHÄFTSMANN

Wie kann der Drehbuchautor ein menschenwürdiges Dasein aufrecht erhalten? Schreibt er nur Drehbücher, wird die Sache schwierig. Die Interviews mit Barbara Albert und Fritz Lehner zeigen, daß durch deren Weg, die selbst geschriebenen Drehbücher selbst zu inszenieren, viel Leid erspart wird, aber große Belastungen abverlangt werden. Reine Autoren versuchen ihren künstlerischen Anspruch zwischen zwei Buchdeckel zu bringen, in Form von Romanen, Geschichten, Reportagen oder auch Lyrik. Und wieder andere scheren sich einen Dreck um ihre Reputation und schreiben, das Niveau links liegend lassend, auf Teufel komm raus ein Drehbuch nach dem anderen. Von diesen soll hier die Rede sein.

Einer der Vielschreiber, der nach eigenen Worten immer auf Qualität bedacht war, ist Herbert Reinecker, der es in seinem Leben auf etwa tausend verfilmte Drehbücher brachte. In gewisser Weise agiert auch er als Geschäftsmann, denn die Trefferquote, daß in einem der etwa 30 deutschsprachigen TV-Kanäle beinahe täglich ein Film von ihm läuft, ist sehr hoch. Ungemeiner Fleiß und hohes Alter bringen hier finanzielle Früchte, die anderen Autoren verwehrt bleiben. Andere wieder werden gleich Produzenten, was sich hierzulande zwar seltsam anhört, aber in den USA gang und gäbe ist. Autoren von Sitcoms und Daily Soaps sind gleichzeitig executive producers und überwachen ihre Arbeit von Anfang bis zum Ende.

Schon sehr früh in der Filmgeschichte haben Autoren und Regisseure versucht, durch atemberaubend schnelles Tempo in der Herstellung von Filmen ihre Gewinne zu vervielfachen. Richard Oswald, der allein in der Stummfilmzeit 120 Filme inszenierte, schrieb und produzierte, war ein Regisseur der ersten Klappe. Seinen Film Das Haus in der Dragonergasse will er in drei oder vier Tagen gedreht haben – nach einem auf der Fahrt ins Atelier geschriebenem Drehbuch.
1 Der Manager Oswald gründete mit Heinz Ullstein die Richard Oswald-AG. Ullstein schrieb in seinen Memoiren, Oswald hätte keinerlei dramaturgische Kenntnisse besessen, aber intuitiv gewußt, was die Leute wollten: "Menschen, die darauf angewiesen sind, erfolgssicher mit dem Publikumsgeschmack zu arbeiten, können nicht ohne Leidenschaften sein und müssen immer in jener Welt zu Hause sein, in der man sich amüsiert." 2

Wir lernen daraus: Der vielschreibende Autor muß eine sorgfältige Einteilung für seine Arbeit treffen, muß täglich auf der Suche nach neuen Stoffen sein, sein Allgemeinwissen bilden und ständig über Trends und Moden am laufenden sein.

Die Geheimnisse des Erfolgs lassen sich, auch in der Reihenfolge ihres Auftretens, auf folgende Attribute zurückführen: Talent, etwas Glück und gute Kontakte. Wer also aufs Geratewohl ins unbekannte Ausland geht, muß dort erst einmal jemanden kennenlernen. Und das ist nirgendwo leichter als in Los Angeles, glauben zumindest viele Nachwuchsautoren. Das wird auch in den vielen, sich großer Beliebtheit erfreuenden Seminaren und Workshops verbreitet, die amerikanische Drehbuchtheoretiker allerorten abhalten. Natürlich berichten diese Script-Gurus hauptsächlich über Hollywood- Produktionen und überprüfen ihre Theorien anhand erfolgreicher amerikanischer Produktionen. Kein Wunder also, daß eine der häufigsten gestellten Fragen der Teilnehmer lautet: "Wie mache ich Karriere in Hollywood?" Tatsächlich werden die Vortragenden nicht müde, auch hier Adressen und Anlaufstellen bekanntzugeben, wo der angehende Hollywood-Autor zum ersten auch nichts anderes tun kann, als einen Workshop um eine ordentliche Stange Geld zu buchen, um sich anschließend in einem Dschungel mit tausenden Mitwerbern herumzuschlagen. Natürlich warnen diese Lehrer vor falschen Illusionen und schränken eine Karriere in Hollywood damit ein, daß – wie es Christopher Vogler bei seinem Seminar in Wien ausdrückte – "you must be the very best in your country". Aber selbst das ist noch eine Augenauswischerei, denn sollte man wirklich Staatsmeister im Drehbuchschreiben sein und das Zeug haben, zu den Weltbesten zu gehören, wären schon längst die Development Executives in Hollywood auf einen aufmerksam geworden. Der Autor, der in sich ein schlummerndes Talent spürt und einen wichtigen Studioboß davon überzeugen will, wird in Hollywood wahrscheinlich nicht mehr als Hamburger verkaufen.

Darum zum Abschluß ein Portrait des Autors und Geschäftsmanns Philip Yordan. Dieser hat sich mit einer Kaltschnäuzigkeit durchgesetzt, die wohl ausnahmslos in Hollywood möglich war und zum Erfolg geführt hat.

 

Philip Yordan, DAS CHAMÄLEON

Philip Yordan muß wohl als der größte Geschäftsmann unter den Drehbuchautoren Hollywoods gelten, gleichzeitig ist die Urheberschaft seiner Filme und seine eigene Person ein großes Mysterium. Tatsache ist, daß kein Hollywood-Autor zwischen 1945 und 1965 derart viele verschiedenartige screenplay credits zustande brachte wie Yordan. Von Dillinger (1945), House of Strangers (1949), Detective Story (1951), The Big Combo (1955) und They Harder They Fall (1956) über die Western Johnny Guitar (1954) und The Man From Laramie (1955); über die Literaturverfilmungen God’s Little Acre (1958) und Studs Lonigan (1960), die Science-Fiction-Fantasie Day of the Triffids (1962) bis zu den historisch-biblischen Filmen King of Kings (1961), El Cid (1961), 55 Days at Peking (1962) und The Fall of the Roman Empire (1964) reicht die Spannweite seiner über 100 Filmtitel.
Yordan war derart dem Business verhaftet, daß er einen Auftrag nach dem anderen annahm, sodaß die Abgabetermine irgendwann unmöglich von einem Mann allein eingehalten werden konnten. Naheliegend also, daß Yordan Autoren beschäftigte, die in seinem Namen arbeiteten und so sein Prestige und seine Einnahmen vervielfachten.

Surrogate writing, wie diese Praxis in Hollywood genannt wurde, hatte durchaus Tradition. Ben Hecht beschäftigte einen ganzen Stab von Autoren, die seine 2-Seiten-Storylines in Drehbücher verwandelten. Während diese Schreibsklaven ihre Arbeit freiwillig verrichteten und sich redlichst bemühten, im Stil des Meisters zu schreiben, beschäftigte Yordan in einer Zeit der politischen und kulturellen Repression vorwiegend arbeitslose Schriftsteller, die durch die "Blacklist" des HUAC (House of Un-American Activities Committee) mit Arbeitsverbot belegt wurden. Die bekanntesten Schreiber für Yordan waren Bernard Gordon, Ben Barzman, Arnaud D’Usseau und vor allem Ben Maddow (1909-1992). Maddow lieferte in den 50er Jahren Drehbücher ab, die Yordans "Ruhm" begründeten: Johnny Guitar, The Naked Jungle (1954), Men In War (1957), God’s Little Acre (1958), Man Crazy (1953) und Murder by Contract (1958). Maddow, der für seine Dienste 50% des Honorars bekam, über Yordan: "Er konnte überhaupt nicht schreiben. Er hatte immer Leute, die für ihn geschrieben haben. Vielleicht irre ich mich auch, und er konnte ein oder zwei Wörter schreiben, oder manchmal einen ganzen Satz."3 Milton Sperling, Produzent vieler Yordan-Filme, gibt allerdings an, er hätte Yordan schon schreiben gesehen. Er hielt ihn für einen guten Autor, der noch mehr aus sich herausholen hätte können, wäre er nicht so verrückt nach dem Geld gewesen: "Was er gebraucht hat, war jemand, der ihm eine erste Fassung schrieb. Da konnte er dann sein Yordan-Ding einbringen. Es war eine sehr reduzierte, harte, klare Umgangssprache, in der er schrieb. Und es war sehr gut."4 Yordan über sich selbst: "Ich bin ein großer Imitator, kein Originator. Ich bin ein Chamäleon, ich kann mich an alles anpassen, ich kann einfach über alles einen Film schreiben."5

 Es ist schwer festzustellen, wieviel oder wie wenig Yordan zu den Drehbüchern beigetragen hat. Er selbst hält fest, daß er vom ersten Skript, Dilllinger, an, fast jedes Drehbuch von Anfang bis Ende alleine schrieb. Dillinger (1945, Regie: Max Nosseck), ein Gangsterfilm im Film-Noir-Stil , brachte Yordan mit dem ersten künstlerischen, zugleich einen enormen wirtschaftlichen Erfolg. Der Film wurde für nicht einmal 30.000 Dollar produziert, sodaß die Produktion dem Autor keine Gage zahlen konnte. Dafür wollte Yordan ein Drittel des Gewinns, was ihm wahrscheinlich mehrere hunderttausend Dollar einbrachte.6 Allerdings gibt es einen Drehbuchautor namens Robert Tasher, der wegen eines Raubüberfalls in San Quentin saß und behauptet, zum größten Teil das Drehbuch zu Dillinger geschrieben zu haben.

Ähnlich verhielt es sich beim nächsten großen Erfolg, House of Strangers (1949, Regie: Joseph L. Mankiewicz). Yordan adaptierte den Roman I’ll Never Go There Anymore von Jerome Weidman, und wurde noch während der Arbeit an der ersten Fassung von der Produktion gefeuert. Regisseur Mankiewicz soll schließlich das Drehbuch umgeschrieben, und "den miserablen Dialog von Yordan" zur Gänze ersetzt haben. Dennoch scheint Yordan als einziger Autor auf, genauso wie in dem Remake Broken Lance (1954, Regie: Edward Dmytryk), für das Yordan 1955 sogar den Drehbuch-Oscar erhielt. Angesichts der Tatsache, daß er mit dem Drehbuch wenig zu tun hatte, fiel seine Dankesrede an die Akademie entsprechend kurz aus: "Thank you!"

 Bezeichnend auch, daß Yordans Weg zum Geschäftsmann über verschlagene Wege führte. Yordan besuchte die Anwaltschule in Chicago und es ist Teil seiner Legende, daß jemand anderer für ihn die Examen machte. Yordan bestreitet das, gibt aber offenherzig zu, daß er bald das Interesse an einem juristischen Beruf verlor und eine Mail-Order-Kette für Kosmetik aufmachte, die sich, nachdem er auch daran das Interesse verlor, in den Händen seines Kompagnons zur millionenschweren American Beauty Company entwickelte. Yordan widmete sich einem anderen Fach - der Schauspielerei. Mit mäßigem Erfolg. Und so wurde er Drehbuchautor.

Yordan, der sagt, er könnte jedes Drehbuch innerhalb von fünf Tagen schreiben, mißachtete stets Hollywoods strenge Regelung, nicht mit den konkurrierenden Studios zu arbeiten. Nie arbeitete er länger als acht, neun Monate bei einem Studio, obwohl er jeweils bei Fox und Columbia exklusive Sieben-Jahres-Verträge unterschrieben hatte. Angesichts seiner vielen Surrogat-Schreiber war es ihm auch gar nicht möglich, nur für ein Studio allein zu arbeiten.

Ben Maddow wurde zum vielleicht produktivsten Schreiber für Yordan. Mit Filmen von hoher Qualität, auf die die Filmkritik sehr positiv reagierte. Yordan wurde sogar zu einem Interview für die Cahiers du Cinéma gebeten. Darin gab er bereitwillig über seine (Maddows) Drehbücher Auskunft. Erst 30 Jahre später realisierte Interviewer Bertrand Tavernier, das Yordan ihn getäuscht hatte: "Er hat sehr schnell herausgefunden, was ich hören wollte, und das hat er gesagt." Yordan behauptet noch heute, daß er die Story Outline zu allen Drehbüchern Maddows lieferte: "Zum Beispiel bei Men In War habe ich ein 30-Seiten-Treatment diktiert und das Ben gegeben. Er hat darauf das Drehbuch geschrieben und ich habe es poliert."7 Maddow sah das anders: "Men in War (1957) habe ich von Anfang bis Ende allein geschrieben. Yordan hat dann einige Ideen davon in anderen Filmen übernommen. Zum Beispiel gab es eine Szene, in der der Regimentskommandant tödlich getroffen wird, und im Jeep festgebunden wird, nur um die Moral der Truppe aufrecht zu erhalten. Yordan hat genau dieselbe Idee in El Cid (1961) wiederverwendet, wo ein todgeweihter Mann die ganze Zeit an seinen Sattel gebunden ist." 8


Auch Yordans einziger Roman Man of the West wurde von Ben Maddow geschrieben. Während Yordan sagt, daß er Maddow das Buch zur Gänze diktiert hat, erzählte Maddow wiederum eine andere Version: "Yordan fragte mich an einem Donnerstag, ob ich eine Idee für einen Western hätte. Ich sagte ihm, ich überlege mir etwas übers Wochenende. Am Montag erzählte ich ihm eine Western-Geschichte. Er hat nicht einmal richtig zugehört, wollte aber innerhalb von drei Wochen ein Drehbuch davon haben. Ich schrieb das Drehbuch und brachte es nach dreieinhalb Wochen. Yordan hat es nicht gelesen, er hat nur geschaut, ob es genug Seiten hatte. Dann sagte er: ‘An die Arbeit!’, griff zum Telefonhörer und rief den Verlag Simon and Schuster an und sagte: ‘Ich habe gerade ein Western-Drehbuch an Warner verkauft. Sind Sie an dem Originalroman interessiert?’ Sie sagten ja. Dann rief er beim Script Department von Warner Brothers an und sagte, daß er einen Western-Roman an Simon and Schuster verkauft habe, und ob sie an dem Drehbuch interessiert wären. Er schickte das Drehbuch ans Studio und rief kurz danach einen Produktionsleiter bei Warner an: ‘Ich weiß, daß du in Las Vegas Spielschulden von 14.000 Dollar hast. Ich zahl sie dir, ich will nur eins von dir. Ich habe ein Skript an Jack Warner geschickt. Nimm es, bevor er es am Morgen noch sieht. Bring’s ihm um vier Uhr nachmittag zurück und sag, daß du das Skript irrtümlich mitgenommen hast., und, nachdem du die erste Seite gelesen hast, es einfach nicht mehr weglegen konntest. Und er hat ihm die 14.000 Dollar gezahlt. Dafür hat er ein Drehbuch und einen Roman verkauft. Nur den Roman gab es noch nicht, also mußte ich mich hinsetzen und ihn schreiben."
9

Die Frage, was Yordan mit dem vielen Geld, das er verdiente, gemacht hat, kann beantwortet werden. Er setzte es in den Sand. Anfang der 60er Jahre ging er nach Madrid, wo er als writer producer den Aufbau gigantischer Studios mitfinanzierte, die ein paar Jahre später wieder abgerissen wurden. Gedreht wurden dort monumentale Bibelfilme, Autor war ... Philip Yordan. Auf die Frage, wie er nach Western auf religiöse Filme kam, sagte Yordan: "Ich tat mir mit Christus relativ leicht. Ein Mann allein. Nicht anders als meine anderen Helden. Christus ist eine Westernfigur." 10

Mit der Zeit dürften Yordan die Autoren abhanden gekommen sein, zumindest die guten. In den 70er und 80er Jahren wurden seine script credits immer spärlicher, die Filme waren billige und unbekannte Actionthriller. Yordan ist 87 Jahre alt und lebt heute in San Diego, wo er einen Video-Verleih namens Vista International betreibt, der sich auf Blutbad-Videos spezialisiert hat und diese fleißig nach Europa exportiert.

Fußnoten:

1Töteberg, Michael: Warnung vor einer heiligen Nutte in Helga Belach, Wolfgang Jacobsen: Richard Oswald, Regisseur und Produzent (Cinegraph Website)
Ullstein, Heinz: Spielplatz meines Lebens, Kindler, München 1961
3  Interview with Ben Maddow. In: Pat McGilligan [Hg.]: Backstory 2, Interviews with Screenwriters of the 1940s and 1950s, Berkely 1991, S.178
4  ibid.., S.336
5 Interview with Philip Yordan, Pat McGilligan, a.a.o. S.372
6 ibid., S.347
7 ibid., S.359
8 Interview with Ben Maddow, ibid., S.180f.
9 ibid., S.182
10 Interview with Philip Yordan, Pat McGilligan, a.a.o. S.368

   Inhaltsverzeichnis Homepage